AULA:
Die über Massenmedien verbreiteten Informationen prägen unser modernes
Leben in hohem Maße. Spiegelt der in diesem Zusammenhang so vielfältig
zitierte Begriff von der ?Informationsgesellschaft“ wirklich die real zu
beobachtenden Veränderungen wider, die unsere Lage kennzeichnen?
Zehm: Wir leben nicht primär in einer
Informationsgesellschaft, sondern in einer Desinformationsgesellschaft,
zumindest was den Bereich der Politik betrifft. Realen Informationsgewinn gibt
es in der Technik, in Wissenschaft und Forschung. In der Politik hingegen überwiegt
die Desinformation. Die Dinge werden eher zugehängt statt offengelegt. Es
herrscht z.B. Über-Information, d.h. die Infos, auf die es eigentlich
ankommt, werden mit Redundanz[1] regelrecht zugeschüttet. Und es herrscht
ganz unverblümte Manipulation. Man lügt, man trickst, man ?besetzt
Begriffe“, wie es so schön heißt, man grenzt den Gegner aus und
treibt ihn in die von Frau Noelle-Neumann beschriebene Schweigespirale. Also:
eher Desinformationsgesellschaft denn Informationsgesellschaft, was die
politische Sphäre der gesellschaftlichen Kommunikation betrifft.
AULA: Das verblüfft in gewisser Weise. Denn
eine der Schlüsselfiguren der sich emanzipatorisch gebärdenden
Frankfurter Schule, Jürgen Habermas, proklamierte doch im Gefolge der 68er-Generation
einen vielzitierten ?Herrschaftsfreien Diskurs“, worunter ganz generell ein
Zuwachs demokratischer Kommunikationskultur verstanden wurde,
?gesamt-gesellschaftlich“ sozusagen, um ein Schlagwort der fortschrittlich
Bewegten der damaligen Zeit in Erinnerung zu rufen. Jetzt sitzen die 68er an
den Schaltstellen der Medienmacht und das Gegenteil ist seit Jahren zu
beobachten. Galt also die tolerante, offene Diskurs-Kultur a la Habermas nur für
das eigene linke Milieu?
Zehm: Soweit ich das verstehe, ist der
?herrschaftsfreie Diskurs“ ein utopischer Restbestand aus alten marxistischen
Tagen, Ausdruck des sogenannten ?linguistic turn“ in der Sozialphilosophie. Das
Reich der Freiheit soll jetzt eben in erster Linie ein Reich der
herrschaftsfreien Kommunikation sein. Aber das ist Utopie und Ideologie. Die
kommunikative Praxis der zur Herrschaft gekommenen 68er sieht anders aus. Sie
ist nichts weniger als herrschaftsfrei. Es gibt Diskurs-Machthaber, Diskursüberwacher,
die genau darauf achten, wer zum mediengestützten offiziellen Diskurs
zugelassen wird und wer nicht. Es wimmelt von Sprachtabus und von allen möglichen
Sprachregelungen. Das intellektuelle Klima ist sehr viel weniger liberal als
vor Machtantritt der 68er.
AULA: Das würde auch die Eigentümlichkeiten
im seit zwei Jahren so besonders heftig geführten ?Kampf gegen rechts“
erklären, an dem sich erhebliche Teile der deutschen Massenmedien völlig
unkritisch beteiligen. Niemand stellt z.B. publikumswirksam die Frage, warum es
nur ?gegen rechts‘ strafrechtlich relevante Propaganda-Delikte in der
Bundesrepublik gibt, nicht aber gegen links, obwohl unter den Symbolen von
Hammer und Sichel mehr Menschen umgebracht wurden als im sogenannten
?Faschismus‘ ?
Zehm: Ich bin allergisch gegen diese Einteilungen
in ?rechtsextrem“’ und ?linksextrem“. Das sind reine Kampfbegriffe,
Drohvokabeln, hinter denen Absichten, keine Tatsachen stehen. Es soll
ausgegrenzt und kriminalisiert werden – zur Zeit vor allem gegen rechts. In
einem wirklich freien, lässig liberalen Kommunikationsprozeß, wo man
wirklich aufeinander hört, wo man zuzuhören versteht, haben diese
Zensurbegriffe nichts zu suchen. Das ist alarmistisches Ausgrenzungsgeschrei,
das jeden echten Diskurs verhindern will. Gegen Argumente werden mehr oder
weniger gespielte Empörungsschreie losgelassen, so etwa: ?Wir stehen kurz
vor einem neuen 1933, und Du bist mit deinen Argumenten daran mitschuldig!,
Biedermann und die Brandstifter! Damit muß sofort Schluß sein!“
usw. usw.
Der ewige ?Kampf gegen rechts“’ kommt den
Medienherren natürlich sehr gelegen. Es sind – wie gesagt – linke und
linksextreme Antifa-Formationen, die hinter ihnen stehen bzw. die sie selbst
repräsentieren. Und die sind selbstverständlich vital daran interessiert,
alles, was von ihrer Linie abweicht, als ?extremismusverdächtig“ zu
verunglimpfen oder gar als ?extremismusnahe“ zu denunzieren.
AULA: Welche Gegenstrategie empfehlen Sie denen,
die das Spiel durchschauen und diese illiberale Praxis in Deutschland zumindest
zurückdrängen wollen?
Zehm: Wichtig wären die Veränderung der
Machtverhältnisse. In der Schweiz, in den skandinavischen Ländern,
beinahe auch in den Niederlanden und auf eine vertrackte Art auch in Österreich,
hat es diese politisch zweifellos notwendige Veränderung ja schon gegeben.
Es dominieren bzw. regieren nun traditionell konservative Parteien mit Hilfe
und in Koalitionen mit ?rechtspopulistischen Bewegungen‘. Wenn es das in
Deutschland gäbe, wenn wir eine CDU/CSU-Regierung hätten, die mit
einer populistischen 15-bis-20-Prozent-Partei regieren würde, dann sähe
die Sache – auch was Kommunikation und Medienlandschaft betrifft – schon sehr
viel besser aus.
Im übrigen empfehle ich dringend Sachlichkeit.
Ich bezweifle, daß es rechten und konservativen Formationen gut tun würde,
in der Medienpolitik die linken Praktiken einfach zu übernehmen und ?mit
neuen Inhalten zu füllen“. Man kann einen Qualitätswein nicht in
einen Seifenbottich abfüllen, ohne daß seine Qualität darunter
leidet. Andererseits soll man die institutionellen Möglichkeiten, die es
gibt, natürlich nutzen, soll sich in den sogenannten öffentlich-rechtlichen
Aufsichtsgremien energisch vernehmbar machen usw. Dazu gehört Übung.
Die Linken sind durch die lange Übung, die sie darin haben, viel
gewiefter, was das Aufstören der Öffentlichkeit betrifft, das
Sich-Vernehmbar-Machen. Da muß manches vom Gegner gelernt werden,
regelrecht von den Linken abgeschaut werden. Aber unterm Strich gilt: Manipulation,
Lüge und Redundanz-Huberei sollten aus der Medienpolitik verschwinden.
Wichtig im medialen und kommunikativen Prozeß ist: Liberalität,
konkretes Sprechen, Genauigkeit, Empfindlichkeit gegenüber bloßem
Geschwätz und gegenüber Drohvokabeln.
AULA: Kann man es so formulieren: die
nichtlinken Kräfte müßten, ausgehend von ihren vorhandenen
institutionellen Möglichkeiten, eine stärkere ?Kampagnenfähigkeit‘
erreichen bzw. diese Fähigkeiten begründen, steigern oder optimieren,
um damit zu einer ernstzunehmenderen Konkurrenz für die bisherigen Inhaber
der Deutungshoheit zu werden ?
Zehm: Nein. ?Kampagne“, ?Diskurshoheit“ – das sind
ja typische Begriffe aus dem Bereich der Manipulation und der Desinformation. Ich
lasse mich davon nicht abbringen: Wenn man genau und konkret auf die
politischen Notwendigkeiten eingeht und klar darüber spricht, dann ist das
die beste Medienpolitik für den, der sie macht. Das schließt eine
optimale Verbreitung dieser Inhalte über die Massenmedien überhaupt
nicht aus.
Im Augenblick kommt es, finde ich, vor allem darauf
an, die Kampagnen der Linken als Manipulation und Desinformation kenntlich zu
machen, deutlich zu machen, wie schädlich und letztlich desaströs
dieser Kampagnen-Journalismus für das Gemeinwesen ist, Er schadet vor
allem der Politik im Ganzen, macht sie in den Augen der schweigenden Mehrheit
total unglaubwürdig, führt zur berüchtigten
?Politikverdrossenheit“ und zu Schlimmerem. So, wie es jetzt läuft, darf
es auf keinen Fall weitergehen, auch mit angeblich geänderten ?Inhalten“
nicht.
AULA: Was hat Sie bewogen, Ihre berühmte
Pankraz-Kolumne , die zuerst lange in der Tageszeitung ?Die Welt“ erschien und
danach im ?Rheinischen Merkur“, seit Mitte der 90er Jahre in der von jungen
Leuten gemachten patriotischen ?Jungen Freiheit“ erscheinen zu lassen ? Wie
beurteilen Sie ganz generell dieses ehrgeizige Projekt ?Junge Freiheit“ von
Dieter Stein und seiner Berliner Mannschaft ?
Zehm: Eine Zensurmaßnahme im ?Rheinischen
Merkur“ gab damals den Ausschlag. Die Leute vom ?Rheinischen Merkur“ haben eine
meiner Kolumnen, nachdem sie bereits vom leitenden Redakteur gegengelesen und
freigegeben worden war, in letzter Minute und ohne mir Bescheid zu sagen
einfach gekippt, offenbar auf Insistieren der damaligen Kohlregierung, die über
großen Einfluß in dieser Zeitung verfügte. Und vor den Lesern
wurde so getan, als sei ich verreist und hätte gar keinen Text geschrieben.
So etwas darf man sich nicht gefallen lassen.
Zur selben Zeit sind dann die höflichen jungen
Leute von der ?JF“ zu mir gekommen und haben angefragt, ob ich den Pankraz
nicht bei Ihnen fortführen wolle. Zensur finde bei Ihnen garantiert nicht statt.
Das Angebot war mir willkommen, denn die publizistischen Möglichkeiten für
eine derartig unabhängige Kolumne sind im gegenwärtigen Deutschland
faktisch gleich Null.
Im übrigen gilt ja: Die JF ist eine
Wochenzeitung, die immer mehr gebraucht wird. Sie hat sich gut entwickelt. Am
Anfang war sie ein Schülerblättchen von zwei, drei Abiturienten in
Freiburg, und jetzt ist sie eine in Berlin regelmäßig erscheinende,
gut gemachte Wochenzeitung mit vielen interessanten Aufsätzen und
beeindruckenden großen Interviews mit wichtigen Leuten. In der deutschen
Geisteselite ist es schon so eine Art Spiel geworden: ?Kannst Du es wagen, in
der Jungen Freiheit zu veröffentlichen oder ihr ein Interview zu geben?“
Kurzum: die JF ist aus dem Geistesleben nicht mehr wegzudenken.
AULA: Das sehen allerdings nicht alle so: die
Wochenzeitung wird bald seit 10 Jahren vom Nordrhein-Westfälischen
Inlandsgeheimdienst als extremismusverdächtig in den Warnberichten des
Bundeslandes aufgeführt. Ist das, was das NRW-Innenministerium hier
inszeniert, für die geistespolitische Lage eigentlich typisch ?
Zehm: Ja. Es gibt ja ähnliche Vorgänge in
anderen Bundesländern. Ich denke an Bayern, wo der Innenminister Beckstein
eine Kampagne gegen die große Burschenschaft Danubia führt.
Ausgerechnet die Danubia: ein unbezweifelbares Reservior von Nachwuchskräften
genau für die CDU/CSU! Aber dergleichen ist typisch. Und es ist nur
konsequent, daß der Chefredakteur der Jungen Freiheit, Dieter Stein, dies
nicht auf sich beruhen läßt und gegen diesen Behördenmißbrauch
juristisch vorgeht. Gegen diese Art der Kriminalisierung, die ein wichtiges
Instrument der linken Medienpolitik ist, muß man alle Hebel
rechtsstaatlicher Gegenwehr in Bewegung setzen.
Wehren sollte die JF sich auch gegen ein anderes
Ausgrenzungsinstrument: das forcierte Totschweigen. Man zitiert die ?Junge
Freiheit“ nicht, man erwähnt sie nicht. Und Kioskbesitzer werden nach wie
vor unter massiven Druck gesetzt mit dem Ziel, das Blatt nicht in ihrem
Sortiment zu führen Aber auch das ist ein Zeichen, daß das Blatt an
Einfluß zunimmt. Es gibt den flotten Spruch in linken Kreisen: ?Gegen
dich hilft nur noch Totschweigen“. Solche Stimmungen sind in der Regel
Endzeit-Stimmungen. Änderung liegt dann in der Luft, und fast jeder merkt
es.
AULA: Interessant ist in diesem Zusammenhang
auch, daß die Junge Freiheit sehr wohl genauestens und vielerorts – auch
seitens hochgestellter Persönlichkeiten der Bundesrepublik – anerkennend
registriert wird, meist jedoch im vertrauten Gespräch und weniger öffentlich,
aber auch letzteres gibt es nun in zunehmender Tendenz. Ein doch eher
erfreuliches Zeichen oder ?
Zehm: Ja, aber wie Sie wissen: ein bißchen
Erfolg weckt sofort die Hunde. Gerade die letzte Frankfurter Buchmesse war dafür
bezeichnend, wo es (diesmal nicht gegen die ?Junge Freiheit“, sondern gegen
einen mit der JF verbündeten Verlag, die ?Edition Antaios“) wieder
Gewaltattacken gab, wie in alten 68er Zeiten, als z.B. der Messestand der Tageszeitung
?Die Welt“ total zusammengeschlagen wurde. Das scheint sich wiederholen zu
wollen. Und wenn Sie bedenken, was man dieser JF schon alles angetan hat: man
hat ihre Druckerei in Weimar in Brand gesteckt, Kapuzen-Männer mit
vorgehaltenem Revolver haben die Redaktion überfallen und die Kartei
geraubt. Ihre Korrespondenten werden, wenn sie erkannt werden, aus politischen
Veranstaltungen ausgeschlossen, viele Grossisten führen die JF nicht, so
daß es zu Einschränkungen in der Verbreitung kommt. Also, man kann
sich wahrhaftig nicht zufrieden zurücklehnen.
AULA: Konservative Persönlichkeiten –
gerade auch im Bereich der studentischen Korporationen – ergreifen oft Berufe
wie Rechtsanwälte, Ärzte, Betriebswirte usw. Vernachlässigen sie
zu sehr die Informationsberufe?
Zehm: Was die Verbindungen betrifft, ist das wohl
so. Aber was sind eigentlich Verbindungen? Es sind ja keine ?Kaderschmieden“,
sondern gleichsam Sozialisationsräume für Erstsemester. Man sucht
dort irgendwie die Fortsetzung heimatlicher, mutterbestimmter Gemütlichkeit,
die man ja auch nötig hat, jetzt, da einem der kalte Wind der
Erwachsenenwelt voll ins Gesicht bläst. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Verbindungen sind – trotz einer generell eher konservativen Grundhaltung – nie
dezidiert politische Vereinigungen gewesen, wenn man von gewissen historischen
Vorgängen absieht wie z.B. die Bewegung der Burschenschaften in der Zeit
des Biedermeiers und der Restauration.
Um auf Ihre Frage zu kommen: Leute, die eher
konservativ gestimmt sind, neigen nun mal zur Wahl sogenannter ?praktischer“
Berufe: Rechtsanwälte, Ärzte, Betriebwirte. Lange Zeit ging das auch
gut. Aber heute in der ?Informationsgesellschaft“, wo die Medien allgegenwärtig
sind (und wo man als Medienberufler übrigens auch gut verdienen kann) müßte
sich das ändern. Man kann den linken Truppen nicht einfach das Feld überlassen.
Das führt à la longue zu einer verhängnisvollen Politik; wir
haben ja eben darüber gesprochen.
AULA: Politik im Sinne einer Stärkung
rechtsstaatlicher Demokratie erfährt ihre multiplikatorische Wirkung durch
massenmediale Verbreitung. Da können ja Berufsfelder im
Schnittmengenbereich der Publizistik, der Politik- und Geschichtswissenschaft
oder der Informatik nur nützlich sein. Oder auch ein ganz anderes Feld,
das ja nicht gerade strotzt vor konservativ-patriotischem Personal: die Film-
und Theaterbranche. Sollten junge Leute von rechts nicht gerade für diese
Berufe begeistert werden ?
Zehm: Ja, sicherlich. Die entscheidende Frage ist,
ob sie, wenn sie sich nicht rechtzeitig krümmen lassen, dann einen Fuß
in die Medien-Tür bekommen. Daß die Massenmedien in überwältigender
Zahl von linken Kräften besetzt sind und auch beherrscht werden, bedeutet
nicht zuletzt: Sie treiben bewußt ?Kaderpolitik“ im Sinne des
kommunistischen Ideologen Gramsci, sie verlangen von den Bewerbern, wenn nicht
gleich Stallgeruch, so auf jeden Fall geistige Unterwerfung, den Gebrauch
bestimmter Schlüsselwörter, die Beachtung von Tabus. Es wird da für
junge Nachwuchskräfte anderer politischer Coleur sehr schwer, überhaupt
hineinkommen. Sie sollten es trotzdem versuchen.
Weil Sie die patriotische Komponente ansprachen; da
herrscht nun wohl das gewaltigste Tabu im deutschsprachigen Raum. Das Dritte
Reich ist der Leitbegriff, von dort her wird die ganze deutsche Geschichte rückwirkend
vergiftet und als nichts weiter als ein ?Weg in den Faschismus“ dargestellt.
Das ist wirklich ein fatale, möglicherweise für das deutsche Volk
letale Konstellation. Mächtige nationale und internationale Kräfte
stehen dahinter und sind daran interessiert, daß sich nichts ändert.
Hier trotzdem etwas zu ändern – das ist die große mediale, ja darüber
hinaus geistige Aufgabe, die vor uns steht.
AULA: Aber im Bereich der von Ihnen
angesprochenen Tabu-Problematik gibt es doch gerade in letzter Zeit
auflockernde Bewegung – eigentümlicherweise nicht aus dem traditionell
konservativen Lager, sondern eher von links. Denken Sie an die auflagenstarken
Publikationen zum Luftkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung im Zweiten
Weltkrieg oder an die Diskussion über die deutschen Vertreibungs-Opfer,
angestoßen im vergangenen Jahr durch die Novelle von Günter Grass über
den Untergang der ?Gustloff“. Eine hoffnungsvolle Hinwendung zur Thematik
?Deutsche als Opfer“?
Zehm: Es liegt einfach in der Natur der Völker
und der einzelnen Menschen, daß man es nicht auf Dauer hinnehmen kann,
immer wieder als ?Täter“ hingestellt zu werden und von daher geradezu negative
Traditionen bilden soll. Negative Traditionen gibt es nicht. Tradition heißt
immer, festzuhalten am Gelungenen und am Ansehnlichen. Diese Einsicht setzt
sich bei den Deutschen nun durch. Seit neuestem ist zu beobachten, wie einiges
ganz spontan – von unten kommend – richtig gestellt wird. Daß wir eben
keinesfalls das ?Volk der Täter“ sind, sondern dasjenige, dem am meisten
Leid angetan worden ist. Klar, wir haben den Krieg verloren, ?vae victis“. Das
wird nun, ganz spontan, ans Licht und in die öffentliche Diskussion
gebracht, allen krampfhaften (und oft richtig drohenden) Behauptungen zum
Trotz, daß man ?nichts vergleichen“ dürfe und daß unser Leid
nur ?die gerechte Strafe“ für vorher von uns ausgestreutes Leid sei. Mag
schon sein, daß das der Anfang eines Umschwungs ist. Schön und großartig
wäre es. Man muß abwarten.
AULA: Wieso kam es eigentlich nach 1989, nach
dieser so unerwartet-erfreulichen Wiedervereinigung zwischen West- und Mitteldeutschland
nicht zu einem patriotischen Umschlag?
Zehm: Es waren alle damals schon maßgeblichen
Kräfte daran interessiert, daß es diesen ?patriotischen Umschlag“,
wie Sie es nennen, nicht gab. Ich kenne das aus der Universität Jena,
meiner alten Heimatuniversität, zu der ich gleich nach der Wende zurückgekehrt
bin. Da habe ich hautnah miterlebt, wie Figuren, die aus dem Westen kamen, man
wußte nicht genau woher, Gremien bildeten, Kongresse veranstalteten,
Gedenktafeln enthüllten – mit dem einzigen Zweck, den Schuldkomplex
einzupflanzen und jede vaterländische Regung im Keim zu ersticken.
Zum anderen gab es gewissermaßen ?objektive“
Schwierigkeiten. Die DDR-Bevölkerung freute sich natürlich in erster
Linie (was nur menschlich und völlig verständlich ist) über den
materiellen Segen, der nun hoffentlich über sie kommen würde, über
den zu erwartenden Anteil am Wohlstandskuchen. Und im Westen war die Jugend –
beinahe schon über Generationen hinweg – von jeder vaterländischen
Regung weggeführt worden. Es regierten stattdessen der reine Hedonismus
und die ?Spaßgesellschaft“, Und so ist es gekommen, daß die Politik
in Sachen Wiedervereinigung faktisch machen konnte, was sie wollte, ohne
Widerstand befürchten zu müssen. Es gab in der etablierten Politik
damals eine Art Schrecksekunde – und danach ging alles wieder weiter, als sei
nichts gewesen.
AULA: Ihre Zwischenbilanz zum im Oktober 2003
begangenen 70.Geburtstag – Autor und Aula-Redaktion gratulieren nachträglich
– als Wissenschaftler und Publizist, Herr Professor Zehm. Kann sich trotz
schwieriger Ausgangslage Deutschland nationalpolitisch
emanzipieren und international behaupten ?
Zehm: Es gibt Behauptungskräfte, und die
Aussichten sind im Vergleich zu dem, was noch vor einigen Jahren war, besser
geworden, so sehr der momentane Augenschein auch dagegen zu sprechen scheint.
Was die europäische Konstellation betrifft, so könnte man fast sagen:
Wir brauchen nur abzuwarten. Wir sind in einer günstigen geopolitischen Lage
in Deutschland und in Mitteleuropa, ?nur noch von Freunden umgeben“, wie es heißt,
mit einer immer noch stattlichen Industrie und Wissenschaft und großartigen
öffentlichen und privaten Logistiken. Wir müßten an sich nur so
gediegen weitermachen, wie es nach dem Krieg in den Aufbaujahren passiert ist,
dann würden sich die politischen Eisenfeilspäne ganz natürlich
nach dem magnetischen Zentrum hin orientieren und wir könnten entscheidend
zur Schaffung einer modernen europäischen Identität beitragen.
Gefährlich ist eben die künstliche
Aufrechterhaltung des Tabus und das Herumwüten gegen die eigene Nation,
das im Zeichen dieses Tabus jeden Tag in den Medien stattfindet. Gefährlich
ist das Hinschwinden der eigenen genetischen Substanz; das trifft übrigens
auf ganz Europa zu: Wir stehen im Zeichen einer neue Völkerwanderung, wo
integrationsunwillige, aus einer ganz anderen Kultur stammende und zudem
schlecht ausgebildete, das Zusammenleben auf lange Zeit schwer störende
Schichten aus anderen Kontinenten in Europa einströmen und die
Regierungen, zumindest unsere deutsche Regierung, faktisch nichts dagegen tut.
Also, das Spiel steht auf der Kippe. Aber war das
nicht immer so im Leben und Überleben der Völker? Man muß optimistisch
sein und auch in bedrohlichen Lagen kaltblütig bleiben und die Übersicht
behaltern.
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[1] Redundanz, lt. Duden: Überladung einer
Aussage, einer Information mit überflüssigen Sprach- bzw.
Informationselementen