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аDer Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr.
Eberhard Hamer, Leiter des Mittelstandsinstituts Niedersachsen, über
аseine These vom kommenden Zusammenbruch der
Weltwirtschaft. Das Interview führte Moritz Schwarz.
аHerr Professor Hamer, was tun, wenn der Crash kommt?
аHamer: Vorbereitet sein, es mag abgedroschen klingen, aber hier gilt - frei nach Gorbatschow - "Wer nicht
аvorbereitet ist, den bestraft das Leben". Wir haben unser Buch "Was passiert, wenn der Crash kommt" in diesem
аStil betitelt, um die Leute aufzurütteln und aus den Träumen der Scheinblüte zu reißen.
аEine Weltuntergangsprophezeiung?
аHamer: Ich weiß, wer Unheil vorhersagt ist nicht wohlgelitten, das war schon zu Zeiten der Kassandra so. Am
аEnde hätten sich die Trojaner aber wohl gewünscht, doch auf sie gehört zu haben. Mit dem Buch wollen wir
аbewirken, daß die Menschen in unserem Land die Gefahr ernst nehmen und sich darauf vorbereiten. Wer sich
аrechtzeitig vorbereitet, kommt mit dem geringsten Schaden davon.
аWann kommt der Crash?
аHamer: Er hat schon begonnen! Jeder Crash kommt in drei Schritten, dem Börsencrash, dem Bankencrash und
аschließlich dem Realcrash, also dem Zusammenbruch von Wirtschaft, Unternehmen, Arbeitsplätzen und
аFinanzanlagen. Den Börsencrash haben wir schon gehabt.
аDer Zusammenbruch des Neuen Marktes ist ja nun schon eine Weile her, und der Deutsche Aktienindex ist mit
аetwa 3.000 Punkten - gegenüber den 7.000 Punkten der Überbewertung - wieder in einem realistischen und
аhalbwegs stabilen Bereich. Fällt der Crash - die große Depression - also vielleicht doch aus?
аHamer: Schön wär's, doch bereits in den sogenannten "goldenen Zwanzigern" mündete eine Scheinblüte in einer
аDepression. In den "goldenen Neunzigern" haben wir eine ähnliche Scheinblüte gehabt. Die unglaubliche
аGeldschwemme haben viele Menschen für echten Wohlstand gehalten, dabei aber übersehen, daß sich das
аVolumen des monetären Bereichs in den letzten dreißig Jahren vervierzigfacht, das Volumen der Güterproduktion
аaber nur vervierfacht hat. Die Finanzwelt hat sich also von der Welt der realen Güter gelöst und Sumpfblüten
аgetrieben, die nun unweigerlich verwelken werden. Die kommende Depression ist also die Korrektur der
аFehlentwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Da sollte man sich von ein bißchen Ruhe nach dem ersten Sturm an
аden Aktienmärkten nicht in Sicherheit wiegen lassen.
аAlso hat der alte Marx doch recht gehabt, der Kapitalismus ist dazu verurteilt, von Krise zu Krise zu taumeln?
аHamer: Nein, die Ursache liegt in der unkontrollierten Ausdehnung der Geldmenge, vor allem des Dollars, also in
аeinem Mißbrauch des Kapitalismus.
аSie sprechen vom US-Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit?
аHamer: Ich spreche von der Politik der Federal Reserve Bank, also der US-Notenbank, die anders als die
аBundesbank früher bei uns nicht staatlich, sondern eine Privatbank ist und damit im Prinzip so viel Geld drucken
аkann, wie sie für richtig hält. Natürlich hängt das mit dem Bedarf der USA an Geld zusammen, die - wie Sie eben
аangedeutet haben - bekanntlich weit über ihre Verhältnisse leben, nicht zuletzt durch ihre Kriegspolitik seit dem
а11. September 2001. Das System funktioniert nur deshalb, weil noch alle Welt die "faulen" - sprich ungedeckten -
аUS-Dollars nach wie vor annimmt. Wer das allerdings nicht mehr tut, wird dann zur "Achse des Bösen" gezählt.
аSie prophezeien, daß uns die Depression auch mit den Schattenseiten der Globalisierung bekanntmachen wird.
аHamer: Die positive Seite der Globalisierung war die Steigerung des Wohlstandes durch internationalen Handel und
аWandel. Doch nun wird sich die internationale Vernetzung per Dominoeffekt für viele als Verhängnis erweisen: Die
аKrise ist ebenso global wie zuvor der Erfolg. Allein China - aufgrund seiner besonderen Situation und dank einer
аPolitik, die schon heute mehr auf Gold als auf Dollar setzt - wird halbwegs unberührt die Sache überdauern.
аErgo kann Deutschland dem Weg in die Depression nicht entgehen?
аHamer: Nein, aber natürlich nicht nur wegen der globalen Vernetzung, sondern auch wegen hausgemachter
аFehler. Nicht alles Übel kommt aus Amerika. Alle westlichen Staaten - außer Australien und Großbritannien -
аhaben sich ständig weiter verschuldet, ohne je etwas zurückzuzahlen, haben unmäßige Sozialversprechen
аgegeben, haben im Grunde "Wechselreiterei" betrieben.
аIhr Ratschlag: Deutsches Kapital rechtzeitig aus den USA abziehen?
аHamer: Das können wir gar nicht, Deutschland ist schließlich nicht mehr souverän. Mit der Aufgabe der
аBundesbank sind wir auf einen Konsens in der Europäischen Zentralbank angewiesen - die übrigens eng mit der
аFederal Reserve Bank verbunden ist. Wir können es uns aber auch gar nicht leisten, die Amerikaner "hochgehen"
аzu lassen, dazu sind wir politisch viel zu abhängig und zu klein und ökonomisch zu eng mit ihnen verflochten.
аAlso spielen alle die Komödie mit, bis sie zur Tragödie wird?
аHamer: Richtig, so lange, bis die Haushalte kollabieren und die Sozialsysteme explodieren. Am Ende der letzten
аgroßen Depression 1934 waren in den USA die Löhne um 25 Prozent gesunken, 30 Prozent der Betriebe
аverschwunden und 80 Millionen Amerikaner ohne Ersparnisse.
аIst es nicht zu einfach, aus dem Studium der Weltwirtschaftskrise von 1929 auf die Gegenwart zu schließen,
аschließlich haben sich viele Faktoren völlig verändert?
аHamer: Das erscheint nur vordergründig berechtigt. Die große Krise damals ist zum Beispiel unter anderem auch
аdurch den Handel mit Derivate-Papieren - deren "Wert" in künftig erhofften Gewinnen liegt - verursacht worden.
аDaraufhin wurde der Handel damit verboten. Inzwischen aber hat die rot-grüne Bundesregierung auf Druck der
аUS-Finanz den Derivatehandel wieder erlaubt. In den USA ist der Derivatehandel bereits wieder derart im
аSchwange, daß es ohne weiteres durch ihn zu ganz großen Krächen kommen kann. So hat zum Beispiel die
аUS-Bank J.P. Morgan das 34fache ihres Eigenkapitals in Derivate-Risiken "stecken". Man macht also die gleichen
аFehler wieder. Angesichts dessen kann man hier durchaus aus der Vergangenheit lernen. Die Annahme, nach der
аErfahrung von 1929 hätten wir alle gelernt, die Wiederholung solch einer Entwicklung künftig zu verhindern, traf
аfür die Generation, die die Depression noch miterlebt und die Lehren daraus beherzigt hat, zu. Die heutige
аGeneration, die immer nur die Sicherheit der Märkte kennengelernt hat, muß offenbar erst ihre eigenen
аErfahrungen machen.
аWas bedeutet es für Deutschland konkret, wenn die Depression kommt?
аHamer: Am schwersten werden Mittelstand und Arbeiterschaft betroffen sein: der Mittelstand, weil er sein
аVermögen, die Arbeitschaft, weil sie ihre Arbeitsplätze verlieren wird. Vor allem verschuldete Betriebe werden
аausgelöscht. Betroffen sein werden besonders Branchen, die langfristige und nicht lebensnotwendige
аProduktionen oder Dienstleistungen anbieten. Dazu gehören etwa die gesamte Investitionsgüterwirtschaft, der
аKultursektor, Teile des Gesundheitsmarktes, Luxusdienstleister wie Reise-Unternehmen und Gastronomie und der
аMarkt langlebiger Güter wie der Automobilbau, die Elektro- oder Möbelindustrie. Besonders dramatisch wird die
аSituation für jenen Teil der Bevölkerung werden, der von Transferleistungen lebt, also für Rentner und
аSozialhilfeempfänger.
аWas kann man tun?
аHamer: Die Politik wird weiter versagen oder nur in Trippelschritten der Krise hinterherlaufen. Also muß jeder
аEinzelne selbst seine Krisenstrategie vorbereiten. Die Betriebe müssen reagieren, indem sie sich jetzt entschulden,
аKapazitäten und Lagerbestände verringern, sowie Forderungs- und Liquiditätsmanagement betreiben. Die
аPrivathaushalte müssen reagieren, indem sie nicht in Finanzwerten anlegen, sondern in realen Werten wie Gold,
аLand oder Immobilien. Mit der richtigen Vorbereitung und einer Portion Glück kann man die Depression
аwirtschaftlich heil überstehen, und nach vier bis fünf Jahren wird es wieder bergauf gehen.
аKritiker werfen Ihnen angesichts dieses Szenarios nicht nur Schwarzmalerei, sondern gar Verschwörungstheorien
аvor.
аHamer: Natürlich - Politiker, Banken, etc. hören solche Prognosen gar nicht gern, zumal sie für die Entwicklung
аmit die Verantwortung tragen und nur an Optimisten verdienen, das heißt diesen Finanzanlagen verkaufen
аkönnen.
аIn Deutschland ist das Thema Rentenversicherung in aller Munde, gerade private Rentenversicherer sind aber in
аden USA sehr aktiv.
аHamer: Eine ganze Reihe deutscher Versicherungsunternehmen werden pleite gehen, wenn die Dollarblase platzt
аund sie sich nicht rechtzeitig "aus dem Dollar zurückgezogen haben".
аDen Deutschen wird derzeit erklärt, daß sie auf die staatliche Rentenkasse nicht mehr bauen können und sich
аprivat absichern müssen. Nun bricht auch noch diese Stütze weg?
аHamer: Ich sehe dennoch die Versicherungen insgesamt nicht vom Aussterben bedroht. Natürlich wird es aber
аauch hier Einschnitte geben.
аWerden diese Herausforderungen bei der derzeitigen Diskussion um eine Neugestaltung unseres
аVersicherungswesens denn berücksichtigt?
аHamer: Leider nicht im mindesten! Denn die Politiker schauen immer noch nicht nach vorne, sondern sehnsüchtig
аzurück in die "goldenen Neunziger" - sie tanzen immer noch ums goldene Kalb. Über Modelle wie
аBürgerversicherung oder Kopfpauschale wird bald niemand mehr diskutieren, weil Probleme ganz anderer Ausmaße
аdie Diskussion bestimmen werden. Die Krise wird Deutschland so heftig erschüttern, daß sie nicht auf den Sektor
аder Wirtschaft beschränkt bleiben wird, auch Politik und Gesellschaft werden betroffen sein, sowohl das
аParteiensystem wie auch unsere Single-Kultur.
аDie JUNGE FREIHEIT beginnt in dieser Ausgabe eine Serie über die Großfamilie als Sozialverband - eigentlich ein
аModell aus vorindustrieller Zeit. Prophezeien Sie tatsächlich eine Renaissance dieses Modells?
аHamer: Zumindest werden wir ein ganz neues Familienbewußtsein entwickeln, denn in der Krise hilft einem
аniemand außer der Familie. Wer alleinsteht, ist verlassen. All jene, die weder auf ihr Glück noch auf den Rückhalt
аeiner Familie bauen können, werden wohl auch in eine persönliche Sinnkrise geraten. So zieht die Krise immer
аweitere Kreise, sie erfaßt über die Gesellschaft schließlich auch die innere Sicherheit und spätestens dann auch
аdie Politik. Die Politiker, die diese Entwicklung nicht verhindert haben, werden, möglicherweise samt ihren
аParteien, verschwinden - siehe Italien.
аWird es zur Bildung radikaler Interessenparteien kommen oder zu einer Rückkehr des bei uns längst unüblich
аgewordenen volksgemeinschaftlichen Gedankens in der Politik?
аHamer: Das vermag wohl niemand vorauszusagen. Fest steht, Deutschland ist denkbar schlecht auf die
аgesellschaftliche Krise vorbereitet, denn wir haben keine gemeinsame ethische Basis mehr in unserem Land. Die
аgemeinsame christliche Grundlage ist ebenso verschwunden wie die nationale. Die sozialistische Solidarität, in
аderen Namen die christliche und die nationale Solidarität spätestens seit 1968 Zug um Zug zerstört wurden, hat
аsowieso nie funktioniert. Und die "Bürgergesellschaft" ist nur Schönfärberei der Tatsache, daß man die
аGesellschaft immer weiter individualisiert und im wesentlichen nur als Anspruchsgrundlage gesehen hat.
аDann zerbricht Deutschland?
аHamer: Vielleicht nicht zerbrechen, aber verarmen. Und danach wird etwas Neues kommen, aber ob uns das
аgefällt, ist die Frage. Die Scheinblüte und Wechselreiterei jedenfalls platzen und werden Armut, Verzweiflung und
аWut auf die politische Klasse hinterlassen. Die Suche nach einem neuen, tragfähigen Weg, der aus den
аZusammenbrüchen von Sozialismus und Kapitalismus hinausführt, beginnt. Es wird vielleicht jene personale,
аmittelständische Wirtschaft und Gesellschaft sein, wie sie allen Demokraten und Marktwirtschaftlern seit jeher
аvorgeschwebt hat.
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аEnde
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аProf. Dr. Eberhard Hamer ist Leiter des
Mittelstandsinstituts Niedersachsen in Hannover. Bis 1994 lehrte er als
Professor für
аWirtschafts- und Finanzpolitik an der
Fachhochschule für Wirtschaft in Bielefeld. Geboren 1932 in Mettmann im
Neanderthal, studierte
аer Volkswirtschaft, Jura und Theologie und
wurde zunächst Rechtsanwalt.
аZuletzt veröffentlichte er das Buch:
а"Was passiert, wenn der Crash kommt? Wie
sichere ich mein Vermögen oder Unternehmen?" (Olzog-Verlag, 2002)
Quelle: